Lokale Helden gegen Humbug

Lokale Helden gegen Humbug

Wenn Gesprächspartner mit einer Geschichte ins Thema einsteigen, bin ich durchaus Ohr. Geschichten mag ich. Jedenfalls die ohne Bart. Was mir der promovierte Psychologe allerdings mit seinem Ausflug ins Römische Reich und bis zu den Auguren sagen will, macht mich erst rat-, dann rastlos. Wir wollten doch über Eignungsdiagnostik und entsprechende Tests als Instrument der Personalauswahl sprechen, unterbreche ich, aber da kriegt er gerade noch die Kurve: Der Beispieltest, den ich ihm als Gesprächsgrundlage geschickt hatte, ist aus wissenschaftlicher Sicht genauso Humbug wie die Vogelflugdeutungen der Auguren – unterhaltsam, aber ohne Erkenntnisgewinn, so seine Botschaft. Und es wird auch deutlich, warum er sich dafür so viel Zeit nimmt: Die Internetseite der Testanbieter sei voller Allgemeinplätze und Horoskopsätze, dafür fehle jeglicher Hinweis auf die eigene Qualifikation. „Aber die haben sich gut an die Presse herangehängt, werden promotet – und das ist ja auch leichte kognitive Kost“, so der Psychologe.

Wumm, der Seitenhieb sitzt. Aber ich will ihn nicht auf mir sitzen lassen. Und schaue mir den besagten Internetauftritt an. Tatsächlich prangt auf der Startseite ein Artikel einer durchaus renommierten Tageszeitung, der überraschend positiv, unkritisch und einseitig ist. Allerdings handelt es sich auch um ein Advertorial, so ein Kofferwort aus „Advertisement“ und „Editorial”, das für einen bezahlten Leitartikel steht. Der Doktor der Psychologie bedankt sich für meinen Hinweis: „Eine generelle Medienschelte war natürlich nicht meine Absicht“, sagt er und gibt zu: „Ich hätte auch nicht erkannt, dass es sich bei dem Artikel um ein Advertorial handelt.“

Sinkende Reichweite und Werbeerlöse versus steigende Kosten pro Ausgabe – Printmedien müssen sich etwas einfallen lassen, um ihr Überleben zu sichern. Online-Anzeigen im redaktionellen Gewand sind da ein probates Mittel. Sie werden nämlich von Google schnell gefunden und hoch gerankt. Wie erkennt man sie? Durch…

1) die Markierung als „Promotion“, „Sponsored Post“, „Advertorial“ oder schlichtweg „Anzeige“, gern rechts oder links oben, aber da muss man schon voll bei der Sache sein, um das nicht zu übersehen,
2) die Anhäufung überflüssiger und viel zu werblicher Adjektive in Kombination mit peinlichen Effekthaschereien, Selbstaffirmationen oder Markennamen: „charismatischer Leader“, „patentreife Methode“, „wahrer Weg zum Glücklichsein“, Markenschutzsymbolen oder die Anhäufung von Versalien,
3) das Fehlen eines Autors, dafür steht am Ende eine Kontaktadresse oder ots, das Kürzel für „Presseaussendungen im Originalwortlaut“ der dpa PR-Tochter „news aktuell“.

Der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder sieht lokale Nachrichten und Medien als Garant der Demokratie. Eben, weil sie lokale den Alltag betreffende Fakten zusammentragen und diese Nachrichten mit konkreten, den Lesern bekannten Namen, Orten und Ereignissen in Zusammenhang bringen. Und weil sie unter dem Namen des Reporters und Journalisten veröffentlicht werden, mit dem die Leser in den Austausch treten können und von dem sie immer wieder neue Berichte aus ihrer Region erhalten. Eine vertrauensbildende Maßnahme und gelegentlich ein Aufreger. Der aber ganz gewiss nicht Fake, Fiktion oder Abstraktion ist. Snyder sagt im Deutschlandfunk:

Lokale Berichterstattung ermöglicht Vertrauen in alle Medien. Wenn es das nicht gibt, wenn man Berichterstatter nicht persönlich kennt, dann bekommt das Wort Medien etwas Negatives, Entferntes und Abstraktes. Und vielleicht sogar etwas Feindliches.

Anders gesagt: Der Lokalreporter sorgt dafür, dass wir nicht glauben müssen, sondern wissen dürfen. Miterleben, was in unserer Stadt passiert. Das ist nicht mit objektiver Wahrheit zu verwechseln, die es bekanntlich nicht gibt. Keine Frage, der Reporter ist auch nur ein Mensch. Aber er verliert seine Berufsehre, wenn er unlautere Methoden anwendet, Gerüchte nicht als solche kennzeichnet, sich bestechen lässt. Das gilt auch für seinen Arbeitgeber, wenn dieser nicht zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken trennt. Daher ist der Lokalreporter mit Berufsethos ein Held gegen Humbug. Der dafür allerdings immer seltener geehrt und immer häufiger gehasst wird.

Machen wir uns bewusst: Wir mögen zwar weltweit digital unterwegs sein und auf unterschiedliche „Fakten“ treffen. Aber da wo wir wirklich leben, atmen und sind, da sollten unterschiedliche Werte und Gefühle unbedingt zu Worte kommen. Aber eben gerade nicht Fake, Horoskopie oder Humbug.

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